Rezensionen 2010

Allgemeine Zeitung, 17. September 2010
Von Christine Bausch

 

 

Kirche wird zum Tatort
KRIMI - Friederike Harig inzeniert Mord im Beichtstuhl

 

Eine Leiche im Beichtstuhl. Mitten in der Christmette. In der sonst eigentlich ruhigsten, feierlichsten Nacht des Jahres.

Wie sie auf die Idee kam? „Eigentlich genau so", lacht Krimiautorin Friederike Harig. „Ich saß an Heiligabend in der Kirche und stellte mir vor, wie das wohl wäre, wenn..." Sie verlegte die Handlung von einer evangelischen Kirche nach St. Stephan in Mainz - und schon war die Idee für die neue Kurzgeschichte geboren, mit der sie erstmals beim Krimifestival „Mörderisches Rheinhessen" von 1. bis 3. Oktober in Bingen dabei ist.

 

Richtige Atmosphäre für Krimi herstellen

Die Verbindungen der Mainz-Ebersheimerin zu Monsignore Mayer halfen bei den „Tatort"-Recherchen in St. Stephan. „Er hat mir alles erklärt - so konnte ich herausfinden, ob sich dort alles so abgespielt haben könnte", erzählt sie. „Das Milieu ist mir wichtig, ich liebe es, die richtige Atmosphäre herzustellen."

 

Aufgeklärt wird der Fall von Kommissarin Margarethe Maybach, Winzerstochter aus Harxheim und alleinerziehende Mutter. Kennen gelernt haben die Leser die Ermittlerin bereits im ersten „großen" Krimi von Friederike Harig: „Professorenmord" ist im Herbst 2009 erschienen. Damals spielte der Fall in einem Reitstall in Stadecken-Elsheim - hier reitet die Mainzerin selbst, und hier führte sie im Sommer auch den Nachwuchs in die Geheimnisse eines guten Krimiautors ein. Die Schreibwerkstatt war Teil der Vorbereitung für den Kinderkrimi-Wettbewerb, ebenfalls Teil von „Mörderisches Rheinhessen". Als Jurymitglied hat sie die 42 Werke bereits gelesen - verraten wird aber noch nichts.

 

Kommissarin behauptet sich in Männerdomäne

Im Kurzkrimi nun hat Kommissarin einen neuen Kollegen, muss sich in der Männerwelt behaupten. Dass sie das auch diesmal schafft, dürfte die Tatsache belegen, dass der nächste Fall bereits in Arbeit ist. Der zweite Kriminalroman spielt wiederum im Kreis von Pferdeliebhabern, nämlich im Dunstkreis des Pfingstturniers in Wiesbaden. „Ich mag es, reale Ereignisse einzubauen. Aber meistens spielen meine Geschichten im ländlichen Raum -ich liebe die Atmosphäre von Rheinhessen." Die Idee für ein drittes Buch reift - dann wird es wohl in Schriftstellerkreisen Mord und Totschlag geben.Wovon sie träumt? „Schön wäre, wenn man so einen Rheinhessen-Krimi mal verfilmen könnte", sagt Friederike Harig. „Ich habe ein ziemlich genaues Bild von Margarethe Maybach im Kopf."

 

Langfristig würde sich die Mainzerin gerne an einem historischen Roman versuchen.Veröffentlicht hat Friederike Harig vor ihrem ersten Buch vor allem wissenschaftliche Fachschriften - sie unterrichtet Literatur. „Schreiben ist für mich ein kreativer Umgang mit Sprache", sagt sie und freut sich, das Krimifestival diesmal nicht nur als Besucherin zu erleben.

Die Rheinpfalz, Samstag 2. Januar 2010
Von Sigfrid Gauch

 

Überall in der Pfalz und in Rhein­hessen liegen sie herum, die Lei­chen. Regionalkrimis haben weiter­hin Konjunktur, man liebt es, sich und die Seinen in vertrauter Land­schaft mit gewohnten Mundart­klängen wiederzufinden, auch wenn es dabei nicht ohne Blessuren abgeht. Regionale Tatorte fin­den sich in Winzerhöfen und in Klöstern, in Rathäusern und auf Kartoffeläckern. Jetzt hat es auch die ehrwürdige Alma mater erwischt.

Der erste Professorenmord ist ge­schehen, einen C-4-Professor für Neuere Geschichte der Mainzer Uni­versität hat es regelrecht getroffen, genauer gesagt: durchsiebt. Und was daran das Besondere ist: Die 1966 in Kaiserslautern geborene und im nordpfälzischen Göllheim aufge­wachsene Autorin Friederike Harig ist Insiderin. Sie ist Akademische Rä­tin am Internationalen Studienkolleg der Universität, sie kennt sich im Ge­triebe - manche sagen: im Biotop - der Johannes-Gutenberg-Universität aus. Im Krimi ist auch von einem Hai­fischbecken die Rede, nicht schlecht.

 

Piranhas in Lehre und Forschung. Eine Kommissarin ermittelt, allein­erziehend, nicht so recht zufrieden mit sich und ihrem Job. Friederike Harig schafft eine Protagonistin, die sich und ihre Ermittlungen selbstiro­nisch kommentiert, die sich als Che­fin ständig hinterfragt und von ihren untergebenen Kollegen, mit denen sie sich duzt, nicht immer wirklich respektiert wird. Dafür rächen sich die Kommissarin und die Erzählerin gemeinsam, zum Beispiel am engsten Mitarbeiter: „Eigentlich war er ein netter Kerl. Vielleicht etwas farb­los, aber das waren nette Kerle meis­tens." Dass dieser farblos nette Kerl dann mit einer der Mordverdächti­gen eine Beziehung eingeht, bringt eine keineswegs farblose Wendung in die Story. In ihr geht es übrigens viel um Be­ziehungen, vor allem, was man von einem Unicampus schließlich auch erwarten kann, um das menschliche Biotop rings um den ermordeten Inhaber des Lehrstuhls: mehrere Ehe­frauen, mehrere Geliebte, darunter auch bildhübsche Studentinnen und Assistentinnen, wie das Leben halt so spielt, bis es sich ausgespielt hat.  Und alles mit einer sprachlichen Leichtigkeit und Geradlinigkeit, die an klassische Kriminalromane erin­nert, die sich auf die Lösung eines Fal­les konzentrieren - auch wenn es nicht bei dem einen Mord bleibt in Friederike Harigs „Professoren­mord".

 

Auch die zweite Leiche stammt aus dem akademischen Um­feld. Und wenn die mutige Kommis­sarin auf eigene Faust auf einem Win­zerhof ermittelt, geht das gründlich schief: „von ihrer Angst beflügelt, ras­te sie geradeaus in die Weinberge, hoffend, dass sie der um sich ballern­de Alte in dem schützenden Reben­lauf nicht erkennen konnte. Sie musste die Rebzeile wechseln. Nahm da­für Geschwindigkeit raus und rollte sich unter den Reben durch" - um einen Tag später auf Krücken im Kommissariat aufzutauchen.  Dass weitergehende Recherchen im Unimilieu Seltsames zutage för­dern, vor allem, wenn man Assisten­ten verhört, erhofft sich der Leser ge­radezu, doch die Sauftour mit dem Doktorvater an Heiligabend, der sich der Assistent nicht entziehen kann, endet immerhin so unerwartet wie ungewöhnlich: Gegen sieben Uhr morgens schiebt der Doktorand sei­nen volltrunkenen Professor über die Treppe zu dessen Wohnung, de­ren Tür schon von selbst aufgeht. Im Türrahmen die Ehefrau, außer sich vor Wut, und im Flüchten kann der Assistent noch erkennen, wie sein Professor ein halb aufgetautes Brat­hähnchen aus der Manteltasche zieht: er war kurz vor Beginn des Hei­ligabends zum Hähnchenkauf ge­schickt worden. Zum letzten Mal, denn die Scheidung lässt nicht auf sich warten.  Aber das alles sind Randereignisse, vergnügliche allerdings, die sich zu einem akademischen Genrebild er­gänzen, das man genüsslich betrach­ten kann.

 

Dass der Krimi zu einem furiosen Ende führt, sollte man zwi­schenzeitlich erwarten. Dass sich die­ses Ende so aber nur im weinfreudi­gen Linksrheinischen abspielen kann, das ist das Mindeste, was hier verraten werden darf.